Stress ist im Alltag der meisten Menschen allgegenwärtig. Häufig registrieren wir die körperlichen Anzeichen dafür gar nicht mehr und gehen deshalb viel zu oft über unsere Leistungsgrenzen hinweg. Typische Stresserkrankungen sind die Folge. Mit Methoden wie der progressiven Muskelrelaxation können wir die Sensibilität für Spannungszustände im Körper trainieren und mit einfachen Übungen gegensteuern.
Die Methode basiert auf einem einfachen Prinzip: Muskeln anspannen – und wieder entspannen. Der US-Arzt Edmund Jacobson entwickelte sie vor etwa hundert Jahren. In kurzen Zeiteinheiten werden einzelne Muskelgruppen von Kopf bis Fuß nacheinander für einige Sekunden angespannt, danach lässt man wieder locker und spürt dem gelösten Zustand nach. Die Anspannung soll zwischen fünf und zehn Sekunden, die Entspannungsphase zwischen 30 und 45 Sekunden dauern – so praktizieren es jedenfalls heutige Trainerinnen und Trainer. Die Übungen sind einfach umzusetzen: Fäuste ballen, die Augen zusammenkneifen, die Schultern zu den Ohren ziehen, den Bauch einziehen oder die Zehen krümmen – und nach jeder einzelnen Übung die angespannten Muskeln wieder locker lassen.
Inzwischen gibt es zahlreiche Bücher, CDs oder Apps zum Selbstlernen, doch vielen Menschen fällt der Einstieg unter fachkundiger Anleitung leichter. Außerdem genießen Teilnehmer der Entspannungskurse das Gefühl, andere Menschen in vergleichbarer Situation zu treffen und sich über den Effekt des Trainings auszutau-schen. Der Übungsraum und die feste Kurszeit bieten zudem die Sicherheit, dass alltägliche Störfaktoren ausgeschaltet sind.
Progressive Muskelentspannung wird bei einer Reihe körperlicher und auch psychischer Befindlichkeitsstörungen eingesetzt. Gefühle wie Angst, Unruhe, Anspannung und Nervosität gelten als Auslöser zahlreicher Störungen, wie zum Beispiel Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Migräne, funktionelle Magen-Darm-Beschwerden, Bluthochdruck, Nacken- und Schulterschmerzen und vieles mehr. Die Methode der progressiven Muskelentspannung führt, regelgerecht ausgeführt, zu mehr Ruhe und Gelassenheit und wirkt sich damit positiv auf die allgemeine Stressbewältigung aus. In der Folge des Wechsels von An- und Entspannung lässt allmählich der Muskeltonus nach, Herz- und Atemfrequenz sowie der Blutdruck sinken messbar, es entsteht ein Gefühl innerer Ruhe. Die fortschreitende Lockerung der muskulären Spannungszustände kann auch mentale Blockaden lösen.
Eingesetzt wird die Methode außerdem bei chronischen Schmerzen: Belegt ist die Wirksamkeit beispielsweise bei chronischem Spannungskopfschmerz.
Da die progressive Muskelentspannung von allen Entspannungsverfahren am leichtesten erlernt werden kann, ist sie auch bei motorisch unruhigen, überaktiven Kindern sinnvoll. Es gibt jedoch auch Erkrankungen, für die sich die Methode nicht eignet, beispielsweise akute Psychosen, Muskelerkrankungen und Muskelkrämpfe. Bei psychischen Leiden wie Depressionen oder Panikattacken sollte sie nur nach Rücksprache mit dem Arzt oder der Ärztin eingesetzt und zumindest zu Beginn ärztlich oder therapeutisch begleitet werden.
Das Verfahren lässt sich prinzipiell leicht erlernen. Ideal ist ein Einstieg unter fachkundiger Anleitung. Dafür gibt es viele Möglichkeiten, von der Arzt- oder Physiopraxis bis hin zu Volkshochschulkursen. Für das Selbsterlernen oder das regelmäßige Umsetzen gibt es viele Bücher, CDs oder auch Apps.
Wichtig ist, dass zuerst die Methode erlernt wird, bevor man sie in einer akuten Situation ausprobiert. Man sollte die Erfahrung gemacht haben, dass man bei starker Anspannung zuverlässig einen Entspannungszustand erreichen kann. Erst dann ist es sinnvoll, die Methode anzuwenden, wenn Unruhe oder Angst eine Rolle spielen, zum Beispiel nachts bei Schlaflosigkeit.
Einige gesetzliche Krankenkassen bezahlen im Rahmen von Präventionsprogrammen entsprechende Kurse ganz oder zumindest anteilig, allerdings nur bei von ihnen geprüften Trainingsangeboten. Oft bieten sie sogar eigene Kurse an. Private Krankenkassen haben eigene Regelungen. Hier hängt es vom gewählten Tarif ab, ob sie die Kurskosten ganz oder teilweise übernehmen. Wichtig: Klären Sie die Frage der Kostenübernahme, bevor Sie sich für ein Kursangebot entscheiden.
Wer neu mit progressiver Muskelentspannung beginnt, sollte am besten regelmäßig üben. In der Lernphase werden täglich 20 bis 30 Minuten empfohlen, zum Bei-spiel am Abend vor dem Schlafengehen. Je häufiger man die unterschiedlichen Muskelgruppen an- und entspannt, desto mehr gewöhnt man sich an den Ablauf.
Wer schließlich geübter ist, kann auf Kurzformen zurückgreifen, die nur wenige Minuten dauern und überall anwendbar sind, ob zu Hause oder im Büro. So lässt sich Stress im Alltag wirksam abbauen und auch in schwierigen Situationen Entspan-nung erreichen.
Quelle: Wort und Bild Verlag
Bild: istock/ fizkes
Freitag, 22. Mai 2020